Wohnungsneubau – Hohe Ziele erreichbar?
Eine weitere Ausgabe der Veröffentlichungsreihe Marktaspekte. In kurzen und prägnanten Beiträgen beleuchten wir aktuelle sowie andere wesentliche Ereignisse des Immobilienmarktes. Heute beschäftigt uns das Thema „Wohnungsneubau“
Sind die hohen Ziele im Wohnungsneubau erreichbar?
Ginge es nach der Bundesregierung, würden in Deutschland in den nächsten Jahren rund 400.000 Wohnungen p. a. neu errichtet werden. Mehr zu bauen, ist ein zentrales Ziel der Wohnungsbaupolitik, von dem wir aber gerade weit entfernt sind. In dem vergangenen Jahr wurden gerade mal 293.000 Wohnungen dem Markt übergeben, sogar 13.000 Wohnungen weniger als ein Jahr zuvor. Dabei kommt die Zahl der genehmigten Wohnungen mittlerweile sehr nahe an das Neubauziel heran. Im Jahr 2021 wurden über alle Objektarten und Haustypen rund 381.000 Wohnungen durch die Behörden genehmigt. Auch schon in den Jahren zuvor lag die Zahl der genehmigten Wohnungen deutlich über der Zahl der fertig gestellten Wohnung. Die Folge ist ein Bauüberhang von 846.000 Wohnungen zum 31.12.2021. Das sind 2 % des kompletten Wohnungsbestandes. Gelänge es diese Wohnungen, für die Baurecht vorliegt, auf überschaubare Zeit fertigzustellen, würde sich die Anspannung auf den Wohnungsmärkten markant verringern.
Das gilt umso mehr, als vor allem jene Regionalmärkte einen besonders hohen Bauüberhang ausweisen, die einen niedrigen Wohnungsleerstand zeigen. Hierzu die nachstehende Abbildung.
Dort zeigt die horizontale Achse den Bauüberhang in Prozent des Wohnungsbestandes, die vertikale Achse misst den Wohnungsleerstand, der ebenfalls in Prozent des Wohnungsbestandes dargestellt ist. Jeder Punkt in der Abbildung steht für einen Kreis, wobei der Stadtkreis München beispielhaft farblich abgesetzt wurde. Dieser Kreis gilt hinsichtlich der Verfügbarkeit von Wohnraum als sehr angespannt, was nicht zuletzt die extrem hohen Wohnungsmieten zeigen. Nach unseren Berechnungen standen in München Ende 2020 weniger als 2 % des Wohnungsbestandes leer. Gleichzeitig lag der Bauüberhang, der seitdem noch weiter gestiegen ist, bei 3,3 %. Würden die Wohnungen, die in München den Bauüberhang ausmachen, kurzfristig auf den Markt kommen, hätte dies unmittelbar sehr deutliche Konsequenzen für das Angebot an Wohnraum und damit für die Mietpreisbildung.
In seiner Pressemitteilung vom 23. Mai macht das Statistische Bundesamt zurecht darauf aufmerksam, dass der Rückgang der Baufertigstellungen bei gleichzeitiger starker Zunahme des Bauüberhangs mit Störungen auf der Angebotsseite zusammenhängen könnte. Die Bauwirtschaft ist der Entwicklung von Auftragsbestand und Beschäftigung nach sehr hoch ausgelastet und von Personalknappheit betroffen. In Verbindung mit Materialengpässen führt dies zunehmend zu Verzögerungen bei laufenden Bauprojekten. Hinzu kommen starke Preissteigerungen bei diversen Baumaterialien und anziehende Energiekosten. Entsprechend sind die Bauleistungspreise aktuell durch eine außerordentlich hohe Teuerung gekennzeichnet. Im ersten Quartal 2022 lagen diese Preise um 14,3 % über dem entsprechenden Vorjahresquartal, im vierten Quartal 2021 betrug der Abstand 11,6 %.
Wie ist der Ausblick?
Zumindest auf kurze Sicht ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich hieran vieles ändert. Nach einer Umfrage der BAUINDUSTRIE beziehen ein Drittel ihrer Mitgliedsunternehmen Baumaterialien aus Russland und der Ukraine – und neun von zehn Firmen beklagen Auswirkungen des Krieges auf ihr Unternehmen. Auch nach dem ifo-Geschäftsklimaindex war die Mehrheit der Bauunternehmen im Mai 2022 pessimistisch eingestellt. In der Konsequenz ist davon auszugehen, dass das von der Bundesregierung propagierte Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr trotz einer hohen Zahl an Baugenehmigungen vorerst nicht zu erreichen sein wird.
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