Zinsinduzierte Mengen-Preis-Reaktion auf dem Wohnimmobilienmarkt
Eine weitere Ausgabe der Veröffentlichungsreihe Marktaspekte. In kurzen und prägnanten Beiträgen beleuchten wir aktuelle sowie andere wesentliche Ereignisse des Immobilienmarktes. Heute beschäftigt uns das Thema „Zinsinduzierte Mengen-Preis-Reaktion auf dem Wohnimmobilienmarkt“.
Eine qualitative Einschätzung
Der Anstieg der Zinsen im vergangenen Jahr war von einem Umschwung in der Nachfrage nach Häusern und Wohnungen begleitet. In der zweiten Jahreshälfte stellten viele potenzielle Erwerber ihre Kaufvorhaben zurück oder ganz ein. Die Statistik spricht hier eine klare Sprache. In Berlin beispielsweise wurden im Jahr 2022 je 10.000 Einwohner nur noch 39 Eigentumswohnungen transagiert, nach 52 Eigentumswohnungen ein Jahr zuvor. Auch in Deutschland insgesamt stockte das Geschäft. Nach vorläufigen Daten ging die Anzahl der verkauften Eigenheime und Eigentumswohnungen bundesweit um ca. 20 % zurück – alles wenig erfreulich für Immobilienmakler, Kreditplattformen, Umzugsunternehmen und das Grunderwerbsteueraufkommen.
Wenn Wohnimmobilien weniger gefragt sind, was bedeutet das für die Preise?
Wird sich die aktuelle Nachfrageabschwächung nicht nur in weniger Kauffällen zeigen, sondern auch in fallenden Preisen?
Grundsätzlich lässt sich diese Frage anhand einer einfachen Angebots-Nachfrage-Grafik analysieren, wie sie nachstehend wiedergegeben ist. Dort hat die Nachfragekurve die übliche negative Steigung: Je höher die Wohnimmobilienpreise sind, desto weniger Objekte werden gekauft. Die Angebotskurve besitzt eine positive Steigung, weil Immobilienbesitzer eher bereit sind, ihre Objekte zu verkaufen, wenn der Preis hoch ist. In diesem Modell entspricht eine zinsinduzierte Nachfragestörung einer Verschiebung der Nachfragekurve entlang der Angebotskurve nach links (gestrichelte Linie). Der Einfluss auf Preise und Kauffälle wird durch die Steigung der Angebotskurve vorgegeben. Je flacher die Angebotskurve verläuft, d.h. je preisunelastischer das Angebot ist, desto mehr mündet die Nachfragestörung in eine Anpassung der Zahl der Kauffälle und nicht in einem Preisnachlass. In der nachstehenden Abbildung geht die Zahl der Kauffälle deutlich zurück, von K0 auf K1, während der Rückgang der Preise von P0 auf P1 geringer ausfällt.
Aktuell spricht viel für ein vergleichsweise preisunelastisches Angebot. Erstens: Bisher hat die Zahl der Transaktionen eine deutlich stärkere Reaktion gezeigt als die Preise, die erst zum Jahresende 2022 nachgegeben haben. Zweitens: Warum sollten Haus- und Wohnungsbesitzer in einer schwachen Marktphase ihre Wohnungen anbieten, wenn sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen sind? Die weitaus meisten Immobilienkäufe der letzten Dekade sind über langfristige Hypotheken mit festen Zinsen und einer hohen Tilgungsrate finanziert; auch zeigt der Arbeitsmarkt eine unverändert niedrige Arbeitslosenquote, sodass von dieser Seite wenig Verkaufsdruck herrscht. Hinzu kommt, dass es – zumindest in Ballungsräumen – kaum freie Mietwohnungen gibt, die alternativ als Bleibe bezogen werden könnten, wenn der eine oder andere Hausbesitzer aufgrund pessimistischer Erwartungen auf einen schnellen Verkauf schielt. Schließlich sorgt der angespannte Mietwohnungsmarkt bei renditeorientiertem Wohneigentum für eine stabile Mietrendite, was es ebenfalls opportun erscheinen lässt, nicht zu verkaufen. Demzufolge werden die meisten potenziellen Verkäufer vorerst die Nachfrageschwäche aussitzen, es sei denn, man muss zwingend umziehen oder ist Bauträger, der für den anonymen Markt baut bzw. gebaut hat und auf Verkaufseinnahmen angewiesen ist.
Die beiden letztgenannten Gruppen – und damit auch der Markt insgesamt – werden nicht ohne Preisanpassungen durch den Zyklus kommen. Insofern werden wir im laufenden Jahr, neben einem weiteren Rückgang in der Zahl der Transaktionen, auch fallende Wohnimmobilienpreise beobachten. Die Mengenanpassung wird dennoch aller Voraussicht nach größer ausfallen als die Preisanpassung. Aus heutiger Sicht werden die Preise vornehmlich als reale Anpassung über die vergleichsweise hohe Inflation sinken. Die Inflation verteuert erstens andere Güter im Vergleich zu Wohnimmobilien. Zweitens wird sie – den aktuellen Tarifverhandlungen zufolge – in den nächsten Quartalen in einem signifikanten Anstieg der Löhne und Gehälter münden. Diese Entwicklungen dürften die Wohnimmobilienpreise wieder für mehr Haushalte leistbar machen und so die Nachfrage stabilisieren.
Autor